ANNEMONIKA STRAUSS


 

PORTRAIT




Pistolen-Prothesen-Preziosen

 

Annemonika Strauß ist Künstlerin und Frauenärztin. Dies scheint zunächst eine Verbindung zweier unterschiedlicher Welten zu sein, ergänzt sich in diesem Menschen jedoch hervorragend. In ihrer Arztpraxis hat sie täglich mit elementaren und substantiellen Bereichen des Lebens zu tun, vor allem mit der immer noch fragilen Rolle von Frau und Kind in unserer Gesellschaft. Ihr medizinischer und ethischer Eid sensibilisiert sie stark für Ungleichheit, Schutzlosigkeit und Hilfsbedürfnisse anderer. Prägende Begegnungen im Berufsalltag führen zu künstlerischen Fragen, mit denen sie die ganz großen Themen unseres Seins behandelt: Liebe und Sex sowie Trauma und Geborgenheitsdefizit, und nicht zuletzt Freuds umstrittene These von Eros und Thanatos, der Dualität von Lebens- und Todestrieb. Sie stellt – als Mensch genauso wie als Künstlerin – bestehende Werte und Hierarchien in Frage, besonders die herrschende männliche Dominanz und daraus resultierende Geschlechterungleichheit.

 

Annemonika Strauß durchstreift mit geschärften Blick Flohmärkte und Antiquitätenläden und findet dort die Objekte, die ihren Skulpturen dienen: Porzellanmadonnen, Devotionalien, alte Pistolen, Orden, Broschen, medizinische Geräte und Werkzeuge, Puppenköpfe und Kitschfiguren.

 

Als leidenschaftliche Kunstsammlerin zeitgenössischer Werke ist sie mit vielen Künstler*innen befreundet und befindet sich in ständigem Austausch über interessante Strömungen. Sie ist sehr gut informiert über die aktuellen Diskurse im internationalen Kunstbetrieb und verarbeitet diese auch in ihrem eigenen Schaffen.

 

Gerne verwendet die Künstlerin gefundene Objekte aus weißem Porzellan oder lackiert sie nachträglich it weißem hochglänzenden Acryl-Lack. Im Ursprung sind diese  Puppen, Madonnen und niedliche Vögelchen als Elemente in leicht kitschigen Dekorationen zu finden, die Künstlerin jedoch stellt sie in Objekten zusammen, die oftmals verstörend und beunruhigend wirken. Die Farbe Weiß der Gegenstände assoziiert für sie einerseits Schönheit und Überhöhung  – vor allem jedoch als „Tarnung“  Überdeckung von etwas Unangenehmen oder Bedrohlichen.
Weiß transformiert die Objekte in eine Ebene des Verborgenen, Geheimnisvollen, Leisen und gibt dem Betrachter die Möglichkeit, das Versteckte aufzuspüren.

 

Ihre auf dem Flohmarkt entdeckten Madonnen haben die Winkel der Hausaltäre verlassen, für die sie ursprünglich gedacht waren und ihr  lieblich devotes Antlitz täuscht uns nicht mehr. Diese Figuren sollen beunruhigen und zum Nachdenken anregen - auch über unbequeme Themen. Die Künstlerin gestaltet sie als symbolische Stellvertreterinnen der Kritik an Missständen in unserer Gesellschaft. Mit unterschiedlichen Attributen versehen erzählen sie uns ihre Geschichten, die Erlebtes und Erfahrenes reflektieren und als Narrative gelten.

 

Den männlichen Gegenpart dazu bildet ihre Serie der „Affenpimmel“. Hier versieht die Künstlerin Arrangements eines  von ihr aus Keramiklast geformten Affenkopfs mit einem erigierten Penis mit unterschiedlichen Verzierungen und Erweiterungen. Schon die Wortwahl des Titels „Affenpimmel“ formuliert ihre Kritik am Machismo und am Patriarchat.
Mit diversen Materialien dekoriert erhalten die Objekte unterschiedliche Wirkungen: monochrom mit weißen Perlen, Bienen und Blumenaugen aus Strass, psychedelisch-farbige Glassteine mit an den Pimmel geklebter Pistole, ein mit unschuldig-weißer Häkeldeckchenspitze verhülltes Affenantlitz und das dazu passende Häkel-Kondom lassen keinen Zweifel an der Haltung der Künstlerin zu männlicher Machtdemonstration.

 

Das Serielle stellt hier und bei den „Madonnen“ einen wichtigen Aspekt ihrer Arbeit dar. Durch die Behandlung eines Themas in unterschiedlichen Façetten der Darstellung dekliniert sie ein Sujet durch und beleuchtet es von unterschiedlichen Seiten, um die Vielfalt zu demonstrieren und einen Hinweis auf unendliche Fortsetzung der „ Anklage“ zu geben.

 

Ein Sammelsurium von archaisch anmutenden Lederprothesen, Boxhandschuhen und anderen Hinweisen auf die menschliche Unzulänglichkeit  werden flankiert von Pistolen und einem Rosenkranz, das Ganze arrangiert auf einem simplen Bollerwagen. Der Titel dieser Arbeit lautet „Prothesengott“ und kann hier mehrdeutig verstanden werden: Einerseits das Zurschaustellen einer Versehrtheit, anderseits die Erweiterung von Körpergrenzen. Der Name „Gott“ im Titel impliziert unantastbare Allmacht genauso wie augenzwinkernde Provokation – wir werden allein gelassen mit unseren Assoziationen, die sich in alle Richtungen bewegen können. Die „Prothesengöttin“ wiederum, das weibliche Pendant dazu, wirkt daneben nicht minder verrätselt.

 

Eine andere Installation ganz in Weiß trägt den schönen Titel „Glaube – Liebe – Hoffnung“; was sich dahinter verbirgt, löst ein schleichendes Unwohlsein beim Betrachter aus: die in unschuldiges Weiß getauchte Dreier-Reihe von altmodischen Teppichklopfern wurde in früheren Generationen auch gern zur Züchtigung von Kindern zweckentfremdet und die darauf montierten Hebammen-Hörrohre könnten die Schreie der misshandelten Kinder hörbar machen, hielte man sein Ohr daran.

 

Annemonika Strauß Objekte  dürfen durchaus kontrovers diskutiert werden, bewegen sie sich doch manchmal an der Grenze zum Tabubruch. Auf höchst offensive Weise, mit schwarzem Humor und subversivem Witz, aber auch ethischer Ernsthaftigkeit hält sie uns einen Spiegel vor, der vielleicht zunächst verstört, aber zu Reflektionen anregen kann.

 

Mit der Verwendung von objets trouvés knüpft sie an Tendenzen der Kunstgeschichte quer durch das 20. Jahrhundert an. Von den Surrealisten über Niki de St. Phalle bis hin zu den Chapman-Brüdern sind Referenzen in ihrem Sujet auszumachen, dennoch findet  Annemonika Strauß  ihre ganz eigene Ausdrucksform. Und: auch wenn ihre Arbeiten auf den zweiten (!) Blick vielleicht aggressiv, skandalös und provokant wirken, steht ein durchdachtes künstlerisches Konzept mit philosophischem Anspruch dahinter, das durch seine Ästhetik bekannter Objekte einen starken visuellen Reiz auf uns ausübt.

 

 

Katja Weeke, Kunsthistorikerin M.A.